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Religiöses Trauma

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  • Beitrags-Kategorie:Allgemein
  • Lesedauer:7 min Lesezeit

„Nur wer die Vergangenheit kennst, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten.“ August Bebel

Schaut man auf die Geschichte der Kirche, hier jetzt ihre Schatten im Laufe der Jahrhunderte und den jüngsten Missbrauchsskandalen, muss es darum gehen, tiefer zu blicken. Da im religiösen Kontext diese sexuellen Missbrauchsfälle geschehen ist, fasse ich diese mit unter religiöse Traumata, da sie dadurch vom mit einhergehenden spirituellen Missbrauch nicht zu trennen sind. Erschreckend zudem die Zunahme fundamentalistischer Strömungen und Gruppierungen, welche auf geistlicher Ebene immense Schäden hinterlassen. Was wirkt da so unsäglich? Wenn sich eine Spirale dreht, die immer wieder für Traumatisierung sorgt, darf gefragt werden, wann hat sie begonnen sich zu drehen? 

Auch wenn der Begriff religiöses Trauma noch relativ neu definiert ist, haben die Forschungen bereits ergeben, dass es nicht minder schwere Folgen haben kann wie jedes andere Trauma. Sehr viele Jahre beschäftigte ich mich mit Traumata und dessen Folgen. Die moderne Traumaforschung bietet inzwischen beachtliche Erkenntnisse und Grundlagen. Es ist mittlerweile erwiesen, dass sich Traumata sogar über Generationen hinweg unbewusst fortsetzen. Dies gilt auch für Kriegstraumata, wie zum Beispiel Sabine Bode in ihrem Buch „Kriegsenkel“ eindrucksvoll aufzeigt. Ein zutiefst berührender, aufrüttelnder Film zu dem Thema ist „Werk ohne Autor.“ Die Folgen des unsäglichen Dritten Reichs auf die Kindeskinder. Besonders beeindruckend, wie sich am Ende die Wahrheit auf sehr ungewöhnliche Weise ihren Weg bahnt. 

Das biblische „…der die Schuld der Väter heimsucht an den Kindern, der dritten und vierten Generation“ könnte im Zusammenhang mit Trauma einen anderen Sinn ergeben. Nicht Gott tut das. Die Taten bedingen dies. Weiß man um Trauma, so ist ein tragisches Merkmal davon, es sucht die Wiederholung. Die sogenannte Traumaspirale, die unbewusst wirkt. So lange, bis es gelingt, Trauma in die Heilung zu bringen. Missbrauchte Frauen zum Beispiel landen oft in Partnerschaften mit narzisstisch geprägten Männern. Studien zeigen, dass viele von ihnen auch in der Prostitution zu finden sind. Emotional von ihren Müttern missbrauchte Söhne suchen sich oftmals dominierende Frauen. Es kann jedoch auch eine Umkehr stattfinden. Aus manchem Opfer wird ein Täter, die Ohnmacht wird durch Macht ausgetauscht. Dies geschieht nicht nur individuell, sondern auch kollektiv sowie generationenübergreifend. 

Ein weiteres typisches Merkmal einer Traumastruktur ist ein Schwarz-Weiß-Denken. Die tiefen inneren Verletzungen und Seelenbrüche versuchen, Ordnung zu schaffen. Den Feind, das Böse sehr klar auf die eine Seite zu stellen, das Gute auf die andere. Wie traumatisiert unsere Gesellschaft noch sein muss, wurde spätestens bei Corona sichtbar. Stress und Angst können unbewusst wirkende Traumastrukturen berühren. Wenn diese in einem selbst nicht gesehen werden, wird mehr oder weniger blind nach außen geschlagen. Jemand muss schuld sein, am eigenen Befinden, und das sorgte unter Corona für viele bizarre Theorien. Auch unter Christen, von denen manche der Meinung waren, die Impfung wäre das Malzeichen.

„Man rettet zukünftige Opfer auch dadurch, dass man Leute davon abbringt, zukünftig Täter zu sein.“ Martin Walser

Schauen wir genauer auf die Geschichte der Christenheit, könnte da fatal etwas wirken. Die ersten Christen wurden bereits brutal verfolgt. Mit Sicherheit war das traumatisierend. Irgendwann fing etwas an zu wirken. Das Böse war ausgemacht worden und sollte vernichtet werden. Zumindest später in der Hölle. Eine Höllenlehre als Erlösung für das eigene Innere. So verständlich dies auf der einen Seite aus den frühen Traumata heraus auch ist, so sehr wird so niemals Heilung und schon garnicht Erlösung gefunden werden. Die Spirale aus Angst und Schuld wird aufrechterhalten. Ebenso ein menschliches Bedürfnis nach Rache und Vergeltung. Für welches Gott herhalten muss. Doch auch schon vor dem Christentum gab es natürlich traumatisierende Gewalterfahrungen von Menschen. So finden sich in Schriften vorher ähnliche Vorstellungen, dass Gerechtigkeit in Form einer Hölle geschaffen werden muss.

Machtmissbrauch jeglicher Art hinterlässt in der Regel tiefsitzende Schuld, und Angst. Genau damit hat die Kirche selbst über Jahrhunderte agiert. Wie sehr konnte sie mit der geschürten Angst vor der Hölle die Menschen zu Ablasszahlungen bringen. Wie viele Kinderseelen tragen bis heute nachhaltige Schäden davon. Die Berichte mehren sich von Aussteigern aus fundamentalistischen Gruppierungen, nicht nur aus den sogenannten Sekten. Oft wenden sich diese Menschen gänzlich vom Glauben ab, um die angstmachenden Manipulationen und Erfahrungen loszuwerden. Dass dies alles im Namen Gottes geschieht, sehr subtil, nur wenn du dich zu Lebzeiten zu Jesus Christus bekehrst bist du errettet, macht die Sache unerträglich. Evangelisation mit der Angst vor der Hölle ist ein Armutszeugnis jeglichen Christseins.

Im Klartext bedeutet es, mit der Höllenlehre brauchen wir selbst nicht töten. Gott wird es schon machen. Die Abspaltung der Gefühle angesichts dessen, dass andere Menschen leiden werden, spricht für sich. Etwas, was viele Traumatisierte in sich selbst machen, um das einst Unerträgliche irgendwie ertragen zu können. Eine möglicherweise in einem selbst tiefsitzende Angst vor Vernichtung klammert sich an die einzig wahre Errettung, Jesus Christus. Dabei wird leider fatal etwas in die Umkehr gebracht. Jesus Christus wird fast wie die Ablasszahlungen früher eingesetzt, um in den Himmel zu kommen. Die absurde buchstabengetreue Auslegung gewisser Bibelstellen mit fataler Wirkung.  Alleine dies sorgt dafür, ganze andere Religionen überheblich oder sogar feindlich zu betrachten. Ganz zu schweigen vom Rest der Welt.

Noch immer spielt sich der Mensch als Gott und Richter auf. Macht den Feind im außen aus, gerne auch in Form von Satan, anstatt in sich selbst im wahrsten Sinne die Wurzel des Bösen, sprich hier die Folgen von Traumata zu suchen. „Was kümmerst du dich um den Splitter im Auge deines Bruders, bemerkst aber den Balken in deinem eigenen Auge nicht?“ Jesus Christus wusste um alles. Er zeigte einen klaren Weg der Erlösung auf. Und er blieb nicht bei Worten. Er lebte ihn, konsequent bis in den Tod. „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Wie wahr, wirken Traumata lange unbewusst in den Menschen. 

„Gott ist Liebe. Und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm.“       1.Joh. 4,16

Gott hat in Jesus Christus eine völlig andere Botschaft in die Welt gebracht. Jesus selbst ist im wahrsten Sinne der Überwinder. Von Leid und Schmerz. Von Schuld und Angst. Von Ohnmacht und Wut. Vom Tod hinein in Leben. Eine Höllenlehre oder Angst vor Satan wird dem in keinster Weise gerecht. Ein Christ sagte mal ernsthaft zu mir, ich wolle doch sicher einen bestimmten Menschen in meinem Leben nicht im Himmel sehen. Ganz bestimmt möchte ich ihn nicht in der Hölle sehen. Ich wünsche ihm Erkenntnis seiner Taten, Erlösung und Frieden ebenso, wie ich es finden durfte. Und ich vertraue Gott, dass er dies bewirken wird. Und wer damit schwer leben kann, darf sich wirklich fragen, warum er meint, dass Gott ihn einem anderen gegenüber bevorzugt. Für die Selbstgerechten hatte Jesus Christus die schärfsten Worte.

Wir dürfen und müssen unsägliche Strukturen, Lehren und Geisteshaltungen in Frage stellen, welche nur eines bewirken. Eine ständige Wiederholung traumatischer, missbräuchlicher Erfahrungen. Wir sehen derzeit nur die Spitze des Eisberges. Da ist vieles am Aufbrechen. Und das ist gut so. Neben bei Traumata oft nowendiger professioneller Traumatherapie kann zudem mit einer seelsorgerlichen Begleitung eine neue gesunde Glaubenshaltung aufgebaut werden. Leider gibt es diesbezüglich noch wenig Angebote. Mit all den neuen Erkenntnissen ist zu wünschen, dass es in Zukunft auch mehr Hilfsangebote geben wird. 

Für inhaltliche Fragen findest du hier vieles unter „Glauben und Mystik“ und „Antworten finden„.

Weiterführender Beitrag „Spiritueller Missbrauch

Mehr zu dem Begriff „religious trauma syndrom“ ein aktueller Artikel hier.

Eine anderer Beitrag mit dem Titel „post-traumatisches-kirchen-syndrom“ hier.

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