Du betrachtest gerade Das Gegenteil von Liebe

Das Gegenteil von Liebe

Die meisten sagen auf die Frage, was das Gegenteil von Liebe ist, es ist der Hass.  Folgender Text von Elie Wiesel, Friedensnobelpreisträger und Überlebender des Holocaust, drückt das aus, was auch mir im Laufe der Jahre bewusst geworden war. Es ist nicht der Hass. Es ist die Gleichgültigkeit.

Der Kampf gegen die Gleichgültigkeit

Ein Schlüsselwort meiner Weltanschauung ist der Kampf gegen die Gleichgültigkeit.

Ich habe immer daran geglaubt, dass das Gegenteil von Liebe nicht Hass ist, sondern Gleichgültigkeit. Das Gegenteil von Glaube ist nicht Überheblichkeit, sondern Gleichgültigkeit. Das Gegenteil von Hoffnung ist nicht Verzweiflung, es ist Gleichgültigkeit. Gleichgültigkeit ist nicht der Anfang eines Prozesses, es ist das Ende eines Prozesses. 

Wenn Sie die Wahl haben, zwischen Verzweiflung und Gleichgültigkeit zu wählen, wählen Sie die Verzweiflung, nicht die Gleichgültigkeit! Denn aus Verzweiflung kann eine Botschaft hervorgehen, aber aus der Gleichgültigkeit kann per definitionem nichts hervorgehen. 

In meiner Jugend beschäftigte ich mich viel mit dem Holocaust. Was für ein dunkles Kapitel unserer deutschen Geschichte. Wie konnte es sein, dass so viele Menschen einfach weggeschaut haben. Spätestens mit dem Tragen des Judensterns musste doch ersichtlich werden, was da geschieht. Menschen wie Bonhoeffer oder die Geschwister Scholl wurden für mich Leitfiguren für überzeugendes christliches Handeln. Irgendwann las ich den Satz: Unsere deutsche Geschichte wäre unerträglich, hätte es Menschen wie Bonhoeffer und die Geschwister Scholl nicht gegeben. Es gab noch andere, unbekannte Menschen, die unter lebensgefährlicher Bedrohung Juden bei sich versteckten. Anne Frank, was für ein berührendes Zeugnis ihr Tagebuch. Ein Schicksal von vielen. Millionen hat es das Leben gekostet.

Wie gelingt ein Kampf gegen die Gleichgültigkeit? Gibt es überhaupt einen sogenannten guten Kampf? Nicht einfach zu beantworten. Kampf ist immer gegen etwas. Und der Kampf für das Gute kann sehr leicht in selbstgerechter Empörung enden. Bei solchen Fragen schaue ich, wie es Jesus Christus getan hat.

Er predigte in erster Linie eines. Die Liebe. Er berührte Menschen heilend. Mit Liebe. Er wandte sich denen zu, die wir heute als Randgruppen der Gesellschaft bezeichnen würden. Denen, die „anders“ sind, den Verzweifelten, Ausgestoßenen, Kranken, Hoffnungslosen. Von Gleichgültigkeit keine Spur. Jesus Christus schaute hin. Und er erkannte jeden, der seiner Hilfe bedurfte. Er heilte an einem Sabbat. Und zog sich den Zorn der gesetztestreuen Pharisäer zu. Am Ende kostete es ihn sein Leben.

Ja, Jesus wurde auch wütend. Stieß die Tische der Verkaufsstände von Opfertieren im Tempel um. Prangerte die Entweihung des Hauses seines Vaters an. Hier solle man beten können, stattdessen würde ein Jahrmarkt des Verkaufes daraus gemacht. Und er wurde wütend insbesondere den Pharisäern gegenüber. Gegen ihre Hartherzigkeit, mit denen diese Gesetze über menschliches Mitgefühl stellten. Ein wenig beruhigend, kennen wir doch alle diese Momente der Wut. Tiefer unter der Wut liegt der Schmerz. Über all das, was wir in dieser Welt sehen. Auch Jesus ging es nicht anders. Der kürzeste Satz in der Bibel lautet: „Jesus weinte.“ In MItgefühl für die Trauernden.

Hat Jesus Christus einen guten Kampf gekämpft? Aus Sicht vieler Gläubigen damals wäre er dann doch anders gekommen. Mit aller Macht Gottes ausgestattet hätte er die weltlichen Herrscher doch vernichtet oder zumindest besiegt. Mit seiner Fähigkeit zu heilen hätte er doch alle Menschen heilen können. Mal direkt ein Paradies geschaffen. In dem nur noch das Gute lebt. Das Gegenteil hat er getan. Er hat sich vollkommen erniedrigen, sich foltern und töten lassen. „Wer mich sieht, der sieht den Vater.“ Am Kreuz predigt er seine letzten Worte. Die Vergebung. All derer, die nicht wissen, was sie tun.

In all dem finden wir keine einfachen Antworten. Nur im näher Nachspüren ist zu sehen, wie es Jesus Christus gelingt, zwar Missstände zu benennen, doch die Vergebung darüber zu stellen. Da ist keine Spur von selbstgerechter Empörung. Da ist ein Einstehen dafür, was Liebe ist und sein will. Und sehr klare Ansagen gegen alles, was dieser Liebe im Weg steht. Das sind in der Tat die Gleichgültigkeit, Selbstgerechtigkeit, Hochmut, und das Streben nach weltlicher Befriedigung statt des Suchens nach Gott – der Liebe wiederum. Jesus Christus gelingt es auf einzigartige Weise, immer wieder unser gewohntes Denken zu durchbrechen. Wenn wir erwarten, jetzt würde er seine Macht zeigen, lässt er sich völlig erniedrigen. Wenn wir erwarten, jetzt würde er den sich so heilig fühlenden Rabbis gehorchen, bricht er Gesetze. Wenn wir erwarten, er würde eine ehebrechende Frau ihrer Sünde beschuldigen, zeigt er mit dem Finger auf alle Umstehenden. „Wer unter euch frei von Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Jesus Christus hat nie zu einem Krieg aufgerufen. Stattdessen sagte er „Liebet eure Feinde“.

In alldem ist sich ein Weg zu bahnen. In sehr ehrlicher Selbsthinterfragung. Als fühlende Menschen kann es uns in keinster Weise egal sein, was Menschen um uns herum angetan wird. Wir sind in der Tat aufgerufen, Missstände zu benennen. Machtmissbrauch findet immer unter dem Schweigen vieler statt. Damals wie heute. Noch immer hält die Angst viele Menschen davon ab, zu sprechen und zu handeln. Damals wie heute braucht es Mut. Im Dritten Reich konnte dieser Mut einem das Leben kosten. Jesus Christus kostete es auch sein Leben. Mit nichts hätte er jedoch eindrucksvoller und nachhaltiger die Liebe Gottes sichtbar machen können, als dort am Kreuz. Vater vergib ihnen. 

Wenn wir dies aus dem Auge verlieren, wird aus einem guten Kampf gegen Gleichgültigkeit und Wegschauen ein schlechter Kampf selbstgerechter Empörung. Wenn wir aus dem Auge verlieren, dass jeder von uns nicht frei von Fehlern und Schwächen ist, wird ein Anprangern von Fehlverhalten anderer zum Mittel des Zweckes, von sich selbst abzulenken. Wenn wir aus dem Auge verlieren, dass am Ende Gott auch noch dem letzten seiner verlorenen Schafe nachgeht, wird eine Höllenlehre aufrechterhalten bleiben. 

Das einzige was bleibt, ist sich immer wieder zu fragen, dient das, was ich sage oder tue wirklich der Liebe? Jesus Christus sagt, an den Früchten werdet ihr sie erkennen. Paulus schreibt: „Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung.“ Eine wahrhaft hohe Meßlatte, die da gesetzt wird. Auf diese ist sich immer wieder zu besinnen, und sie darf uns alle dann doch ganz schön in der Demut halten. Ganz besonders dann, wenn wir damit konfrontiert werden, wie um uns herum die Menschlichkeit und die Liebe mit Füßen getreten wird. Christsein ist wirklich kein netter Spaziergang. Und Liebe hat wirklich so garnichts mit romantischer Verklärung zu tun. Sie ist radikal konsequent dort, wo ihr entgegengelebt wird. Und sie radikal bereit, gleichzeitig zu vergeben.

Liebet eure Feinde. Die Bergpredigt ist aktueller denn je. Dieser Auftrag beinhaltet mehr als leere Frömmigkeit. Sie ist der Weg zum guten Kampf. Mögen sich viele auf diesem Weg einfinden.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

Kommentare sind geschlossen.