„Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn errettet werde.“ Joh. 3,17
Großgeworden in Bayern sah ich sie überall. Die Kreuze mit dem leidenden Jesus Christus. Für mich als Kind ungeheuer belastend. Es war mir unerträglich, dass ein unschuldiger Mensch für mich gestorben sein soll, leiden musste, wegen meiner Sünden. Wie schlecht musste ich eigentlich sein. Dazu kam noch das Beichtgebet:“Ich armer, elender sündiger Mensch…“. Genau so fühlte ich mich.
Später wurden die Fragen drängend. Nichts passte da eigentlich für mich. Wenn Jesus für alle Sünden der Welt gestorben ist, wieso sind sie dann noch da? Ist es nicht viel zu einfach zu sagen, da ist jemand für meine Sünden gestorben, also alles nicht so schlimm? Dann kann ich ja machen, was ich will? Wieviel sah ich in der Kirche an Doppelmoral und Scheinheiligkeit. Da machte etwas für mich überhaupt keinen Sinn. Und ich beschloss irgendwann, nein, ich möchte nicht, dass jemand für meine Sünden stirbt, ich nehme mein Kreuz schon selbst auf mich. Ich stehe für meine Fehler und Schuld ein. Dass muss keiner für mich tragen. Schon garnicht Jesus Christus. Viele Jahre später schaue ich anders.
Vor ein paar Tagen sagte jemand zu mir, ich kann mich nicht Christ nennen, weil ich nicht daran glaube, dass Jesus Christus den stellvertretenden Sühnetod gestorben ist. Das ist tragisch. Und aus meiner Sicht nicht notwendig. Gibt es doch auch unter Theologen genau diese Fragen. Musste Gott wirklich seinen Sohn sterben lassen, um sich selbst dadurch von seinem Zorn zu befreien? Sich mit den Menschen auszusöhnen? Nein, sicher nicht. Und mit einer einfachen Antwort werden wir glaube ich dem Tod von Jesus Christus am Kreuz nicht gerecht. Wir dürfen fragen. Und immer wieder ein Stück mehr Antworten finden. Ein paar Gedanken dazu, ohne dem Anspruch, das Mysterium vollends zu entschlüsseln.
„Du bist ein Gott, der mich sieht“ 1. Mose 16,13 /Jahreslosung 2023
Ohne Kreuz wäre Jesus Christus nicht der, der er war und ist. Heute sage ich, es ist gut, dass mich sein Tod und sein Leiden immer noch so sehr berührt. Diese bedingungslose Annahme und Bereitschaft, sich den größten Qualen auszusetzen, Spott, Hohn, Ohnmacht. Heute sehe ich auf einmal all die Menschen auf dieser Welt, die genau so etwas erleben. Unschuldige Menschen, die Opfer werden von Krieg, Hunger und Folter. Es ist, als würde Jesus Christus sagen wollen, ich gehe mit euch mit. Ich durchleide es mit euch. Ich bin neben euch. Ich kenne euren Schmerz. Ich weiche dem nicht aus. Ich Gott werde ganz Mensch, um euch zu zeigen, wie nahe ich euch bin. Ich durchleide die gleiche Angst, das Hadern mit dem Schicksal, sogar eine abgrundtiefe Gottverlassenheit. Ich bin ein Gott, der dich sieht!
Und ich bin ein Gott, der in Jesus Christus aus Liebe zu dir zulässt, an dir zu sterben. Und dir dennoch zu vergeben.Denn Jesus Christus zeigt uns die andere Seite des Menschen. Wer hat ihn ans Kreuz gebracht? Die Selbstgerechten, die, die Angst hatten, sie könnten Macht verlieren, die Kleingeistigen, allen voran Gläubige, weil Jesus Christus nicht in ihr Bild passte. Diese andere Seite in uns dürfen wir ebenso beleuchten. Wen bringen wir denn heute immer noch ans Kreuz? Wer passt alles nicht in unser Bild? Erleben wir nicht genau solches gerade auch unter Christen? Legt Gott nicht genau da seinen Finger hinein, und sagt, schaut bitte hin! Ihr alle habt mich ans Kreuz gebracht, bis heute. Und dies NICHT, um uns in Schuldgefühle zu bringen, wie ich sie damals als Kind hatte. Sondern um diese Worte vom Kreuz herab zu sprechen: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Die größte Gnade und Barmherzigkeit tut sich auf einmal auf. Und diese darf uns erschüttern. Bis ins Mark und Bein. Diese unfassbare, unerschütterliche Liebe darf uns berühren. Sie darf uns beschämen. Sie darf uns aufzeigen, wo wir als Menschen immer wieder kläglich scheitern. Sie darf bewusst machen, dass wir alle, ausnahmslos alle von der Gnade leben. Auch als Mensch unter Menschen. Ich bin darauf angewiesen, dass meine Kinder, andere Menschen mir verzeihen, wo ich Fehler gemacht habe, ihnen nicht gerecht wurde, wo ich versagt habe, wo ich sie verletzt habe. Ich darf sehr achtsam zu werden, wo ich vorschnell urteile. Dieser Kreuzestod darf mir meine Unzulänglichkeit aufzeigen. Um jeglichen religiösen Hochmut zu verlieren. Und mich auf den Weg zu machen, selbst immer und immer wieder zu vergeben, wo mir selbst Unrecht geschehen ist, ich verletzt wurde, Menschen an mir versagt haben. Und nein, das ist nicht immer leicht. Manchmal braucht es viel Zeit. Und umso mehr spüre ich, wie sehr wir der Gnade und Barmherzigkeit bedürfen. Nicht nur von Gott. Sondern unter uns Menschen ebenso.
„Es gibt wirklich nur eine Stelle in der Welt, in der wir kein Dunkel sehen. Das ist die Person Jesus Christus. In ihm hat sich Gott am deutlichsten vor uns hingestellt.“ Albert Einstein
„Siehe das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt“. Vielleicht ist es sehr viel tiefer, umfassender zu verstehen. Nicht in einem einfachen Sühneopferverständnis. Sondern als tiefe Herausforderung etwas zu verstehen. Was Liebe vermag. Sie weicht vor nichts zurück. Sie gibt sich hin. Das ist so groß, dass es unsere Vorstellungskraft übersteigt. Mit dem Kreuzestod von Jesus Christus sprengt Gott endgültig alle Konzepte über ihn auf. So klein lässt er sich machen, so demütigen, nicht die Spur von Machtbeweis. Aber mit der höchsten Zusage der Vergebung. Das Kreuz hält uns dabei gnadenlos den Spiegel vor. Unser menschliches Versagen in der Gottesferne, fern der Liebe. Wir alle versagen in der Liebe. Die Hölle schaffen wir uns dadurch regelrecht selbst. Jesus Christus hat dies nicht einfach am Kreuz beendet. Die Geschichte geht seit 2.000 Jahren weiter. Aber Gott hat einen Ausblick geschaffen.
In dem Moment der Auferstehung. Sie ist nochmal ein ganz eigenes Mysterium, hier nur so viel. Es ist die Erhebung Gottes über alles, sogar über den Tod. Gott erhebt sich in seiner Souveränität über all diese Kleingeistigkeit, Selbstgerechtigkeit, Hochmut, Lieblosigkeit und Unglauben, die Jesus Christus an Kreuz gebracht haben. In Jesus Christus wird sichtbar, dass es wahr ist: „Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes“. Gott siegt über alles, was uns Menschen von dieser seiner Liebe trennen möchte. Auch von dem Leben mit unserem Tod. Er ist nicht das Ende. Weil Liebe Liebe ist. Und einmal mehr nicht, um uns vorzuführen geschweige denn sich anschließend über alles erhaben wegzumachen. Im Gegenteil. Es gibt noch einmal eine tiefe Zuwendung zu den Menschen. Zuspruch, Ermutigung,für den letzten Zweifelnden.
Um uns dann das Geschenk im Geheimnis des Heiligen Geistes zu hinterlassen. Der bleibt. Und wirkt. Der uns jeden Tag aufs Neue einen Weg aufzeigen will. Wir werden eingeladen, all das, was Jesus Christus gelehrt hat, in unser Leben zu nehmen. Nehmt euer Kreuz auf euch und folget mir nach. Heute verstehe ich es anders. Wollte ich damals es irgendwie alleine machen, darf ich heute wissen, nein, da geht jemand mit mir. Da ist jemand mir vorausgegangen. Da will jemand durch mich wirken. Was mir aus eigener Kraft garnicht gelingen kann. Er hat mir gezeigt, wie die Spirale von dem ewigen sich schuldig Machen aneinander durchbrochen werden kann. Er hat mir gezeigt, dass ich dabei sogar unvollkommen sein darf. „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Darin liegt die Erlösung. Und das ist kein Freisprechen von Verantwortung. In der Einladung zur Nachfolge liegt die Herausforderung an uns alle. Etwas von dieser Liebe, Gnade und Barmherzigkeit in unseren Leben sichtbar werden zu lassen.
In diesem Moment erreicht mich dieses Video: „Du bist GELIEBT! – Liebesbrief von Gott„. Zufall, dass es mich beim Schreiben der letzten Zeile erreicht? Vielleicht. Ich glaube nicht;)
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