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Alleinsein begrüßen

„Freiheit beginnt da, wo die Angst endet.“ Unbekannt

Eine tiefsitzende Angst des Menschen ist die vor dem Alleinsein. Und sie hat einen guten Grund. Denn nur durch ein Gegenüber erfahren wir so etwas wie Wahrgenommenwerden, Akzeptanz, Unterstützung Wertschätzung bis hin zu Liebe. Innerhalb einer Gruppe Geborgenheit und ein Dazugehörigkeitsgefühl.

Doch ebenso können wir durch ein Gegenüber oder in einer Gruppe genau das Gegenteil erfahren. Missachtung, Abwertung,  Grenzüberschreitung, Kontrolle und Machtmissbrauch. Und so schlimm diese Erfahrungen auch sein mögen. Viele Menschen verbleiben in ungesunden Partnerschaften bis hin zu spirituell-religiösen Gemeinschaften, weil die Angst vor dem Alleinsein größer ist. 

Wenn es darum geht, aus missbräuchlichen ungesunden Strukturen auszusteigen, wird man mit dieser Angst konfrontiert werden. Es ist gut, sich ihrer bewusst zu werden. Denn bei genauerem Hinschauen kann sich diese Angst auch einfach auflösen. Es gibt einen immens wichtigen Wert des Alleinseins.

Uns wurde ein großes Vorbild gegeben. An vielen Stellen der Bibel ist davon zu lesen, dass Jesus Christus sich zurückzog. Alleine war. Im Gespräch mit seinem Vater. Gerne wird dies übersehen. Doch darin liegt sicherlich ebenso eine Lehre wie in seinen Worten oder Gleichnissen. Sogar 40 Tage ging er in die Wüste. Ob er sich alleine fühlte? Wir wissen es nicht. Aber von einem dürfen wir ausgehen. Dass er sich der Nähe Gottes sehr bewusst war. Und dass er in diesem Alleinsein ganz und gar nur mit Gott sein konnte.

Wir alle kennen dies. In Momenten alleine in der Natur. Ob bei einem grandiosen Sonnenuntergang, auf dem Gipfel eines Berges, am Strand, beim einfach nur Beobachten der Wellenbewegungen. Wir werden ergriffen, haben auf einmal das Gefühl, Gott näher zu sein. Und vorallem geschieht eines. Unser ständiges Reden im Verstand hört auf. Erliegt sozusagen dieser Erhabenheit, und lässt sich fallen. In die Ruhe, in ein Nichtsmehrtunmüssen, in ein Geschehenlassen. Und in eine tiefe Geborgenheit. Wir werden erfüllt von der Gegenwart Gottes, ohne sie gesucht zu haben. Sie ist auf einmal da. Von Angst keine Spur.

Warum ist angesichts dessen unsere Angst vor dem Alleinsein so groß? Nun, man könnte fast sagen, weil uns alles Andere wichtiger zu sein scheint als die Gegenwart Gottes. Die Stille so unerträglich, weil wir vielleicht mit etwas in unserem Inneren konfrontiert werden, was wir nicht sehen möchten. Die Angst vor dem Nichtmehrgeliebtwerden durch Menschen größer ist, als die Gewissheit, längst geliebt zu sein. 

„Angst ist die Liebe, die uns an die Hand nimmt, um uns aus der Leere zu führen.“ H.S. Sam

Was verlieren wir, wenn wir diese unsere Angst verlieren? Dem darf in der Tiefe nachgegangen werden. Denn sie ist unerlässlich, wollen wir Gott wirklich begegnen. Da dürfen wir uns Jesus Christus vor Augen halten. Er machte mit seinem wiederkehrenden Rückzug von etwas sehr wichtigem Gebrauch. Von seinem spirituellen Selbstbestimmungsrecht. Er ließ sich weder von Pharisäern beeindrucken, was man alles zu tun und zu lassen hat, um Gottes Wohlwollen zu erlangen, noch von dem sicher großen Bedürfnis von Menschen, ihm nahe sein zu wollen. Ob seine Jünger oder andere Menschen. So sehr er sich ihnen auch immer wieder zuwandte, so sehr entzog er sich allem auch immer wieder. In sehr klarer, guter Selbstfürsorge. Weil er nur in der Stille, nur im Alleinsein ganz bei sich und mit seinem Vater sein konnte. 

Im Wort Alleinsein liegt das „All-Eins-Sein.“ Wir wissen darum, in diesen Momenten in der Natur. Nur die gewohnte Angst holt uns gerne ein. Und damit letztendlich eine Leere in uns, die vermeintlich nur andere Menschen oder Aktivitäten jeder Art füllen könnten. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist wirklich die Liebe, die uns mitten durch diese Angst führen möchte, um uns aus dieser Leere zu führen. Aus Abhängigkeiten jeder Art, als der Kontrolle anderer über uns, aus dem Zwang, etwas tun zu müssen, um gut zu sein. Was wirklich unsere Leere füllen kann, ist die Liebe. Zu sich selbst und im Verschenken an andere. Ohne Bedingungen daran zu knüpfen. Und ohne Bedürftigkeit. Eine solche Liebe kann uns nur geschenkt werden. 

Schauen wir noch einmal auf das Thema spirituellen Missbrauch. Wie können all die Einflüsse und Manipulationen ihre Macht verlieren? Wenn wir es wagen, alles, was uns gesagt wurde, mal beiseite legen. Uns in ein Nichtwissen hinein zu begeben, unser inneres Glas sozusagen vollends leeren, mal nichts mehr tun, keinen anderen mehr hineinsprechen lassen, uns allem entziehen, und absichtslos warten…dann können wir mit ganz neuem, reinen, klaren Wasser gefüllt werden. Mit einer Liebe, die nichts von uns verlangt. Keine Unterwerfung. Kein du musst. Diese Liebe sagt, du darfst. Vertraue mir. Es gibt nichts zu verlieren, wenn wir die Angst vor dem Alleinsein verlieren. Es gibt nur etwas zu gewinnen. Und das muss nicht mit der großen Wüstenzeit beginnen. Das kann in ganz kleinen Schritten erfahrbar werden.

Mir gefällt es, bestimmte Phasen des Lebens zwar regelrecht Wüstenzeit zu benennen, und habe es auch immer wieder so gemacht. In Momenten, in denen ich spürte, irgendetwas stimmt nicht. Da geht etwas so nicht weiter. Ohne zu wissen, was es eigentlich ist. Um es herauszufinden, setze ich dann bewusst so eine Wüstenzeit an. Ziehe mich aus gewohntem Tun zurück. Suche das Alleinsein. Die Leere. Lasse mich ein auf mein Nichtwissen und die Ungewissheit. Es ist eine gute, wichtige Zeit, mir zu erlauben, mich Gott auf meine Weise ganz frei und jeglichen Einfluss von außen zu nähern. Darin liegt die wunderbare Erfahrung, in diesem Alleinsein keineswegs alleine zu sein. Alles, was mir auf dem Herzen liegt, lege ich Gott vor die Füße. Und da darf völlig ehrlich Klartext gesprochen werden. Da darf alles gefühlt werden. Inmitten dessen kommen auf einmal ganz neue Gedanken, Ideen, oder auch wundersame Begegnungen.  

Menschen schildern dies ebenso von Phasen nach einer Trennung aus einer Partnerschaft. So schwierig es anfangs auch sein mochte, irgendwann fangen sie an, den Wert des Alleinlebens zu schätzen. Sie lernen sich neu kennen, probieren alles Mögliche aus, sind auf einmal viel offener anderen Menschen gegenüber, weil sehr viel mehr Raum dafür da ist. Gleiches gilt tatsächlich auch für unser Glaubensleben. Da eröffnen sich auf einmal ganz andere Horizonte. Im Überwinden der Angst vor dem Alleinsein, beginnt die Freiheit. 

Diese Freiheit lässt eine ganz andere Begegnung mit anderen zu. Es werden freie, offene, nicht mehr brauchende, bedürftige Beziehungen. Ohne Angst vor Verlust. Denn Liebe ist niemals auf Angst gegründet. Daher entspringt jegliche Glaubenslehre, welche an der Angst der Menschen rührt, nicht der Liebe. Jegliche Macht, Kontrolle und Abhängigkeitsstrukturen ebensowenig. Und dies können wir nur erfahren, wenn wir uns einlassen darauf, was geschieht, wagen wir uns in ein uns für die Liebe öffnendes Alleinsein hinein. 

„Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir; hab keine Angst, denn ich bin dein Gott. Ich helfe dir, ja, ich mache dich stark, ja, ich halte dich mit meiner hilfreichen Rechten.“ Jes. 41,10

Nur eine von sehr vielen Bibelstellen, in denen es heißt  „Fürchte dich nicht“. Gott weiß darum, dass es unsere Angst ist, die uns am meisten im Weg steht, ihm zu vertrauen, und seiner Liebe zu uns. Immer und immer wieder wird es uns gesagt. Das scheint nötig zu sein…naja, wir sind alle auf dem Weg 😉

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