„Vergeben und Verzeihen kennt keine Zahl noch ein Ende. Vergebung ist ohne Anfang und ohne Ende. Sie geschieht täglich, unaufhörlich, denn sie kommt von Gott.“ Dietrich Bonhoeffer
Die Vergebung ist der Schlüssel zum Herzen des Christseins. In Jesus Christus am Kreuz leuchtet die unermessliche Liebe Gottes zu uns auf. „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Wir wissen wirklich nicht, was wir tun. Was haben wir aus dieser uns gezeigten bedingungslosen Hingabe gemacht. Wie wenig glaubten wir an diese Liebe. Gnadenlos wurde in den Kreuzzügen verfolgt und getötet. Machtvolle Prunkbauten entstanden, mit dahinter verborgenem Grauen, wie es uns erst jetzt langsam offenbart wird. Starre Lehren, Gesetzlichkeit und Riten, die den Menschen mit Androhung der Hölle aufgezwungen wurden. Manchmal kommt es mir vor, als hätten wir über die Jahrhunderte wie ein Traktor die Liebe und Lehre von Jesus Christus platt gefahren. Doch es wird uns nicht gelingen. Denn auch dafür hat Gott uns etwas offenbart. In der Auferstehung von Jesus Christus. Seine Liebe und Gnade ist größer.
Mit dem Geschehen am Kreuz hält Gott uns auf erschütternste Weise den Spiegel hin. Wir sind es, die mit allen nur erdenklichen Mitteln gegen Gott kämpfen. Und im wahrsten Sinn diese bedingungslose Liebe töten wollen. Bis heute wird offenbar nicht verstanden, dass diese Liebe nur eine Bedingung für uns bereithält. Ihr zu vertrauen. Jede Verbissenheit, jede Anstrengung, wer weiß was leisten zu müssen für Gott, erstickt diese Liebe. Die Vergebung ist die andere Seite der Medaille, der Gnade. Mit menschlichem Willen ist keine Vergebung möglich. Es bedarf der Gnade Gottes. Es ist das, was Jesus Christus uns am Kreuz lehrt. Er sagt dieses Mal nicht, „Ich vergebe.“ Er betet. Zu Gott. „Vater, vergib ihnen…“
Gott bewirkt die Vergebung. Nicht wir. Wir können nur darum beten, dass sie uns geschenkt werden möge. Wir dürfen allerdings bereit sein, unser Herz öffnen dafür, dass Gott an, mit und durch uns wirkt.
„Und derjenige, der die Engel und Teufel nicht gesehen hat, in den Wundern und Widerwärtigkeiten des Lebens, dessen Herz bleibt ohne Verständnis.“ Khalil Gibran
Es war in einer Zeit des Alleinseins, einmal mehr war ich am Ringen. Verfiel in den Fehler, mich zwingen zu wollen, zu vergeben. In diesem Fall ging es um richtig tiefe Wunden, die von jemandem geschlagen worden waren. Vieles hatte ich aufgearbeitet, doch ich spürte noch immer diese Ecke von Bitterkeit und Unverzeihlichkeit in mir, die mir selbst das Leben vergiftete. Es waren Nächte, in denen ich mit Gott gerungen habe. Wie soll das gehen, du willst, dass ich vergebe, aber ich kann nicht. In diesem Menschen ist Null Reue, ein einziges Verleugnen, er wird weiter Menschen verletzen. Wenn ich vergebe, gebe ich ihm ja regelrecht die Erlaubnis, einfach so weitermachen zu können. Gedanken, die du vielleicht kennst.
Und es geschah etwas völlig Unerwartetes. Gott gab mir die Erlaubnis, garnichts tun zu müssen. Sondern mich noch einmal ganz mir selbst zuzuwenden. All den Gefühlen des Schmerzes von damals. Den Folgen, die das jahrelang für mein Leben hatte. Der Ohnmacht darin. All mein Hadern. Ich durfte Gott alles sagen, ihm vor die Füße legen. Er gab mir das Recht, zu klagen. Ohne mich schuldig zu fühlen. Und irgendwann stellte sich eine unbeschreibliche Ruhe ein. Jetzt war alles bei ihm. Ich musste nichts mehr tun. Ich durfte mir sogar erlauben, nicht vergeben zu können. Eine ungeheure Entlastung. Es fiel ebenso von mir ab, insgeheim noch auf Reue oder gar eine Entschuldigung zu warten. Gott war mein Zeuge für alles Geschehene, egal, welchem Leugnen ich gegenüberstand. Und das war auf einmal genug.
Nur wenige Tage später geschah etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. In diesem eigenen Erfahren der Erlösung öffnete sich auf einmal mein Herz. Sah, wie gefangen dieser Mensch in seinem Tun ist. Er sich nichts eingestehen kann, weil es da eine ungeheure Angst gibt. Diese Grundangst von uns allen Menschen vor dem Nichtmehrgeliebtwerden. Und dass er genau des Gleichen bedarf wie ich. Der Gnade Gottes. Auf einmal war sie da. Die Vergebung. Nicht aus eigener Kraft. Sie wurde mir einfach geschenkt.
Vergebung können wir nicht erzwingen. Wer sich einmal Berichte angeschaut hat, wenn Missbrauchsopfer der katholischen Kirche erzählen, der spürt eigentlich direkt, das letzte, was diese Menschen gebrauchen können ist, wenn man ihnen jetzt sagt, du musst vergeben. Nein, das müssen sie nicht. Liebe wendet sich zunächst dem zu, wo die Verletzungen und Wunden sind. Da gibt es kein schnelles Wegmachen oder Darüberschminken. Da darf erst einmal alles sein. Eine radikale Offenlegung.
Da bedarf es vorallem eines. Eines Gegenübers, welches sich berühren und erschüttern lässt von dem, was diesen Menschen widerfahren ist. Zuhört, und aushält, was da an unvorstellbarem Leid zugefügt wurde. Da darf es keinerlei Erwartungen geben. Lange genug waren sie Druck und Manipulationen ausgesetzt. Sie dürfen erfahren, dass sie mal garnichts tun müssen. Weder sexuell noch spirituell-religiös.
Nicht wir setzen die Bedingungen, wann Vergebung möglich ist. Gott kennt den Zeitpunkt. Wir dürfen eines. Gefäße seiner Liebe sein. Nicht nur, um Mitgefühl entgegenzubringen. Denn es wird oft auch ganz schön selbstgefällig, von wegen, wir selbst sind ja nicht so schlimm wie diese Täter. Sondern auch, um in der Begegnung mit dem größten Leid und Abgründen von Menschen selbst in den Spiegel zu schauen.
„Gott, vergib du ihnen, ich kann grade nicht.“ Elmar Gruber
In diesem vordergründig humorvollen Zitat liegt dieses tiefe Geheimnis der Vergebung. Welches uns Jesus Christus am Kreuz gegeben hat mit seinem Gebet. Wir dürfen es Gott anvertrauen. Nicht als den Herrn und Richter, wie er gerne insgeheim gesehen werden möchte…. Gott wird all diejenigen, welche uns oder anderen unrecht getan haben, schon bestrafen. Was hätten wir dann eigentlich von seiner Gnade und Liebe verstanden. Wie schnell befinden wir uns wieder in der pharisäerhaften Selbstgerechtigkeit. Sondern im Eingestehen, selbst schuldig geworden zu sein an Menschen. Und das schmerzt. Das darf und muss es.
Es war dieses Erkennen, als mir die Vergebung zufiel, und mein Herz weich wurde. Wir alle sind „bestraft“ genug, wenn uns bewusst wird, wo wir dieser Liebe Gottes entgegengehandelt haben, und es Tag für Tag aufs Neue tun. Davor dürfen und werden wir alle in die Knie gehen. Jesus Christus bat für uns alle um Vergebung. Dieser Gnade gegenüber gilt es zu sehen, wie gnadenlos unsere eigenen Herzen oftmals sind.
Ein Lied, welches sehr eindringlich davon spricht: „IV. Revolution„. Allen möglichen Vorurteilen vorbeugend, es ist ein bekennender Christ, der da in Worte fasst, worum wir alle, wenn wir ehrlich sind, ringen dürfen. Im Anerkennen unseres immerwährenden Scheiterns an der Liebe darf Barmherzigkeit hervortreten.
Im Hohelied der Liebe heißt es: „Sie rechnet das Böse nicht zu.“ Darin liegt allerhöchste Gnade und wohl der größte Schatz eines Christseins. Und gleichzeitig die größte Herausforderung für uns. Bis heute wollen oder können wir nicht glauben, dass es eine solche Liebe Gottes gibt. Diese Liebe möchte uns berühren mit der Erkenntnis, dass keiner von uns Vergebung lernen und erfahren kann, wenn es nichts zu vergeben gäbe. Diese Liebe übergibt uns dafür tatsächlich einem Feuer. Nicht dem Höllenfeuer. Sondern dem reinigenden, heiligen Feuer der Liebe. Wie Khalil Gibran es beschreibt in „Von der Liebe„
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